Missbrauch im Steuerrecht
- Allgemeines
Als Abwehrnorm für missbräuchliche Gestaltungen dient § 22 BAO (Bundesabgabenordnung). Demnach kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des privaten Rechtes die Abgabenpflicht nicht umgangen oder gemindert werden. Gemäß Abs 2 liegt Missbrauch dann vor, wenn eine rechtliche Gestaltung, die eine oder mehrere Schritte umfassen kann, oder eine Abfolge rechtlicher Gestaltungen im Hinblick auf die wirtschaftliche Zielsetzung unangemessen sei. Unangemessen sind auch Gestaltungen, die unter Außerachtlassung der damit verbundenen Steuerersparnis nicht mehr sinnvoll erscheinen, weil der wesentliche Zweck oder einer der wesentlichen Zwecke darin besteht, einen steuerlichen Vorteil zu erlangen, der dem Ziel oder Zweck des geltenden Steuerechtes zuwiderläuft. Bei Vorliegen von triftigen wirtschaftlichen Gründen, welche die wirtschaftliche Realität widerspiegeln, liegt kein Missbrauch vor. Im Falle eines Missbrauches sind die Abgaben so zu ermitteln, wie sie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu erheben wären.
Neben dieser Generalnorm gegen missbräuchliche Gestaltungen gibt es mittlerweile noch weitere gesetzliche Missbrauchsregelungen (beispielsweise § 44 UmgrStG, DAC 6 Meldepflicht von Steuergestaltungen, Principal Purpose Test laut DBA’s, beispielsweise im jüngsten novellierten DBA mit den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie eine umfangreiche Judikatur und Verwaltungspraxis).
- Rechtliche Ausführungen
Da sich im Wirtschaftsleben fremde Dritte üblicherweise nichts schenken, ist der Anwendungsbereich der judizierten Missbrauchsfälle in der Regel auf nahe Angehörige bzw. konzernverbundene Unternehmungen eingeschränkt. Beispielsweise hat der VwGH in einem Judikat vom 19.03.2021, RA 2021/13/0034 den mit der Ehegattin abgeschlossenen Dienstvertag die steuerliche Wirkung aberkannt, weil der beschwerdeführende Anwalt lediglich für seine Exgattin eine gesetzliche Sozialversicherung bewirken wollte, keine zeitnahen Stundenaufzeichnungen vorhanden waren, keine nachvollziehbaren Leistungsbeziehungen vorlagen und überdies naheliegend sei, dass der Anwalt durch das Dienstverhältnis bloß seine Unterhaltszahlungen in die betriebliche Sphäre verlagern wollte, um eine Steuerersparnis zu erzielen.
Ein typischer Fall eines Rechtsmissbrauches war laut VwGH vom 20.05.2010, 2006/15/0005 bei Zwischenschaltung einer funktionslosen Handelsanstalt im Fürstentum Liechtenstein gegeben. Der Handelsvertreter hatte seine Tätigkeit nur formal im Wege der Zwischenschaltung einer Anstalt nach Liechtenstein verlagert, tatsächlich aber keine wesentliche Änderung im Geschäftsbetrieb durchgeführt. Steuerlich sind daher die Provisionseinkünfte nicht der funktionslosen Anstalt, sondern weiterhin dem Handelsvertreter zuzurechnen.
Bei einer Vermietung an Familienmitglieder hat der Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass kein Missbrauch vorliege (siehe VwGH vom 16.03.2022, RA 2019/13/0090). Bei dieser Entscheidung war die Geltendmachung des Vorsteuerabzuges strittig. Sachverhaltsmäßig hat die Revisionswerberin ein Wohnhaus mit drei Wohneinheiten errichtet, wovon zwei Einheiten an den Ehegatten vermietet wurden. Dieser stellte die beiden Wohnungen den erwachsenen Kindern gegen Ersatz der Betriebskosten zur Verfügung. Sowohl das Finanzamt als auch das Bundesfinanzgericht beurteilten diese Konstellation als Missbrauch, weil aus den Errichtungskosten des Hauses der Vorsteuerabzug geltend gemacht wurde und die umsatzsteuerpflichtige Vermietung an den Ehegatten lediglich der Geltendmachung des Vorsteuerabzuges diente, da der Ehegatte die Wohnungen ohne Verrechnung von Mieten an die Kinder überließ. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Entscheidung des BFG aufgehoben und ausgeführt, dass kein Missbrauch vorliege, da die Nutzung durch den Mieter (Eigennutzung oder Weiterüberlassung) keinen Einfluss auf den Vorsteuerabzug habe und laut Vorinstanzen kein Hinweis vorhanden sei, dass das vereinbarte Bestandsverhältnis nicht fremdüblich gestaltet sei.
Entgegen einer ansonsten zu verzeichnenden fiskalistischen Tendenz werden die Missbrauchsbestimmungen vom Verwaltungsgerichtshof restriktiv gehandhabt und interpretiert. Soweit das Rechtsgeschäft fremdüblich ist und es auch wirtschaftliche Gründe für die rechtliche Ausgestaltung gibt, sieht der Verwaltungsgerichtshof keinen Anlass für einen Missbrauchstatbestand. Die Parteien dürfen sich einer zur Verfügung stehenden Gestaltungsmöglichkeit des Privatrechtes bedienen, wenn diese weder rechtsmissbräuchlich erfolgte noch dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verletze (siehe auch BFG vom 09.03.2021, RV/4100371/2017).
Auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nimmt die Missbrauchsbeurteilung zu. Zwar hat das Europäische Höchstgericht im EuGH‑Urteil RBS Deutschland Holdings (EuGH vom 22.12.2010, C-277/09) ausgesagt, dass die bloße Ausnutzung eines grenzüberschreitenden Qualifikationskonfliktes keinen Missbrauch darstellen könne. Dies gilt zumindest dann, wenn sachverhaltsgemäß die Beteiligten im „normalen Handelsverkehr“ und im Rahmen einer echten wirtschaftlichen Tätigkeit handeln und darüber hinaus nicht rechtlich verbunden sind. Andererseits hat der österreichische VwGH in seiner Entscheidung vom 09.12.2004, 2002/14/0074 einen Missbrauch gesehen, wenn die in Irland ansässige Briefkastengesellschaft zur Veranlagung von Liquiditätsüberschüssen eines österreichischen Konzerns in Festgeldern und Anleihen bei österreichischen Banken zwischengeschaltet wird. Laut VwGH sei diese Zwischenschaltung ungewöhnlich und unangemessen und habe als einziges Ziel die DBA‑Befreiung für die letztliche in Dividendenform wieder rückgeflossenen Erträge (gemäß den damaligen irischen Steuerbegünstigen gab es eine KÖST-Ermäßigung und überdies fiel keine Quellensteuer an). Weiters hat das österreichische Höchstgericht ausgesagt, dass das Fehlen einschlägiger Bestimmungen in Doppelbesteuerungsabkommen nicht den Schluss zulasse, dass Abkommen einen Missbrauch vom Formen- und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts zuließen. Derartiges wäre mit dem für die Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen bedeutsamen Artikel 31 des Wiener Übereinkommens unvereinbar (siehe VwGH 26.07.2000, 97/14/0070).
Wie bereits eingangs erwähnt, gibt es neben der Generalnorm des § 22 BAO mittlerweile noch Sonderbestimmungen in (neueren) Doppelbesteuerungsabkommen; aber auch im innerstaatlichen Recht gibt es beispielsweise bei Umgründungsfällen einen eigenen Missbrauchstatbestand. § 44 UmgrStG ist eine „Lex Specialis“ für Umgründungsvorgänge. Demnach sind die begünstigenden Bestimmungen des Umgründungssteuergesetzes zu versagen, wenn die Umgründungsmaßnahmen der Umgehung oder Minderung einer Abgabenpflicht im Sinne des § 22 BAO dienen oder wenn die Umgründungsmaßnahmen als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung – im Sinne des Artikel 15 der Richtlinien Nr. 2009/133/EG über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedsstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer europäischen Gesellschaft oder einer europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedsstaat in einen anderen Mitgliedsstaat – bewirken.
Eine interessante Aussage hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 25.11.1999, 97/15/0104 getätigt, wonach kein Missbrauch vorliege, wenn eine Gestaltung nicht der Umgehung österreichischer Steuern (oder EU-Steuern) dient, sondern der Umgehung von Steuern eines Drittlandes. Einschränkend ist festzuhalten, dass das Missbrauchsargument vom Beschwerdeführer eingebracht wurde, um eine Versteuerung einer verdeckten Gewinnausschüttung aus einer panamesischen Gesellschaft zu vermeiden!
Hinzuweisen ist, dass die Definition des Missbrauches aufgrund des Jahressteuergesetzes 2018 präzisiert und verschärft wurde. Während nach der alten Rechtslage kein Missbrauch vorliegt, wenn beachtliche außersteuerliche Gründe vorliegen, ist in der Neufassung von „triftigen wirtschaftlichen Gründen“ die Rede.
Für die finanzstrafrechtliche Beurteilung ist wohl wesentlich, dass ein möglicher problematischer Sachverhalt offengelegt wird. Aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfGH vom 10.10.2018, G49/2017) lässt sich ableiten, dass primär der Abgabepflichtige erkennen muss, ob eine allfällige missbrauchsverdächtige Gestaltung vorliegt. In weiterer Folge muss er der Abgabenbehörde alle relevanten Sachverhaltsdetails offenlegen, da hier letztlich nur der Abgabepflichtige selbst die angewandte Gestaltung erkennen und beurteilen kann. Die Offenlegungs- und Wahrheitspflicht des § 119 BAO fordert die Bekanntgabe aller abgabenrechtlich relevanten Elemente. Wird dieser Offenlegungspflicht nicht Folge geleistet, setzt sich der Abgabenpflichtige dem Risiko einer finanzstrafrechtlichen Verfolgung und möglichen Verurteilung aus.
Mitgeteilt von
A.M.T. Steuerberatungs GmbH
Am Modenapark 10/17
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Anton Hawranek
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